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Gedenkrede zum 13. Februar 2024 von attac Dresden

Das Gedenken an die Opfer der Bombenangriffe 1945 ist in diesem Jahr besonders wichtig. Die Bilder der Kriege heute im Nahen Osten und in der Ukraine sind kaum zu ertragen. Haben wir aus der Vergangenheit nichts gelernt?
Aber wer ist 'Wir' und was sollten wir lernen?
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb die militärische Sicherheitslogik prägend für unsere Welt. Bis heute trägt sie wesentlich zu der aktuellen Multikrise bei.
Die Sicherheitsstrategien der NATO, Israels, Russlands, der Ukraine und der deutschen  Bundesregierung blenden die negativen Wirkungen reiner militärischer Logik komplett aus.
Die militärische Stärke Israels hat den furchtbaren Anschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 nicht verhindern können. Ein ARD–Kommentar vom 25. Oktober 2023 formuliert entsprechend:
„Durch … eine hochgerüstete Armee, durch immer mehr Abschottung und Überwachung gibt es nicht mehr Sicherheit für Israel. Das ist die Lehre des furchtbaren Terrors vom 7. Oktober.“
Die Verbrechen der Hamas in Israel sind durch nichts zu rechtfertigen. Alle Opfer der Gewalt in Israel haben unser tiefes Mitgefühl. Das gilt ebenso für die  Opfer der Gewalt im Gaza-Streifen und im Westjordanland, welche die Anzahl der Opfer vom 7. Oktober 2023 schon heute weit übersteigt.
Selbst US-Präsident Joe Biden warnte Israel davor, den verhängnisvollen Fehler der USA nach den Verbrechen vom 11. September 2001 zu wiederholen, sich bei seiner Verteidigung von Rachegefühlen leiten zu lassen und mit unverhältnismäßiger Gewalt zu reagieren.
Der 2001 von den USA ausgerufene 'Krieg gegen den Terror' hat weltweit zu mehreren Millionen Toten geführt.
Die USA kündigten danach zahlreiche Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge und provozierten auch dadurch die erneute konventionelle Aufrüstung Russlands.
Negative Folgen sogenannter militärischer Sicherheitslogik lassen sich noch viele nennen:
1999 der völkerrechtswidrige Bombenkrieg gegen Russlands Verbündeten Serbien; die wider alle Zusagen permanente Osterweiterung der NATO von 16 auf gegenwärtig 31 Mitglieder; die 2008 von den USA durchgesetzte Zusage, Georgien und die Ukraine in die NATO aufzunehmen; der Druck der EU 2013 auf die Ukraine, ihre Zollfreiheit mit Russland zu beenden, sowie die Entscheidung der Ukraine, den Pachtvertrag für die russische Marinebasis auf der Krim nicht zu verlängern. Das waren mit wesentliche Ursachen dafür, dass Russland 2014 die Krim annektierte und die ostukrainischen Autonomiebestrebungen militärisch unterstützte.
Die USA weigerten sich, über den Rückbau der seit 2016 in Polen und Rumänien installierten US-Raketenabwehrsysteme zu verhandeln. Präsident Putin hat seit 2007 und zuletzt 2021 und 2022 vor dem Angriff auf die Ukraine gefordert, über die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zu verhandeln, was das westliche Staatenbündnis rundweg abgelehnt hat.
Der russische Angriff auf die Ukraine ist eine Folge der gesamten militärischen Logik und Dynamik seit 1990. Nicht nur der Westen, auch Russland scheitert aktuell mit seinem Krieg in der Ukraine daran. Alle Opfer dieses Krieges haben unser tiefes Mitgefühl.

Was könnte ein Ausweg sein?
Zivilgesellschaftliche Organisationen formulierten es bereits im Oktober 2001:
„Krieg kann keine Konflikte lösen. Terrorismus lässt sich dadurch nicht bekämpfen. Dem Terrorismus muss der wirtschaftliche, soziale, politische und ideologische Nährboden entzogen werden, auf dem er gedeiht. Kein Raketenabwehrsystem, keine noch so gut gerüstete Armee und keine noch so großen inneren Sicherheitsmaßnahmen werden uns vor solchen Anschlägen schützen können. Mehr Sicherheit erreichen wir nur durch Abrüstung, die Stärkung des internationalen Rechts und durch mehr soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit in der Welt.“
Wir können Konflikte zwischen Staaten nicht verhindern, aber wir können sie deeskalieren. Und wir können sie so austragen, dass sich für alle Seiten die Sicherheit vor Gewalt erhöht.
Sicherheit friedenspolitisch zu denken, heißt zu verstehen, welche Auswirkungen die eigene Strategie für die andere Seite hat und welche Interessen zu berücksichtigen sind. Nach und nach können aus Konfliktgegnern Weggefährten und Kooperationspartner werden, wie es zum Beispiel zwischen Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg geschah. Das ist die gute Nachricht. Damit das möglich ist, müssen alle Seiten ihre Ziele, Haltungen und ihr Verhalten selbst korrigieren. Sie dürfen nicht darauf warten, bis alle anderen das getan haben.
Leider ist die Bundesregierung auf einem ganz anderen Weg unterwegs. Deutschland soll kriegstüchtig werden. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR), die das Verteidigungsministerium (ausgerechnet) am 9. November 2023 herausgab, heißt es:
„Die Bundeswehr muss personell und materiell jederzeit durchhaltefähig sein. Die neue Qualität der Bedrohung unserer Sicherheit und die brutale Realität des Krieges in der Ukraine verdeutlichen, dass wir unsere Strukturen und Prozesse am Szenario des Kampfes gegen einen mindestens ebenbürtigen Gegner ausrichten müssen. Wir wollen diese Auseinandersetzung nicht nur gewinnen, sondern wir müssen.“
Die deutsche Gesellschaft soll sich an Wehrhaftigkeit und Kriegstüchtigkeit gewöhnen.
Sicherheitspolitisch ist das ein Armutszeugnis. Von „Gemeinsamer Sicherheit“, „Sicherheit neu denken“ oder Friedenslogik findet sich in diesen Richtlinien keine Spur.
Um so wichtiger ist es, dass wir darüber in einen breiten gesellschaftlichen Dialog kommen.
Die Toten vergangener und gegenwärtiger Kriege mahnen uns.