Meine Gedanken zum attac-Ratschlag Frühjahr 2022
Punkt 1: Ausstellungsverbot
Voller Erwartungen – in Erinnerung an mehrere Ratschläge, die ich vor Jahren besuchte – fuhr ich nach Frankfurt. Im Gepäck eine kleine Ausstellung über das von Faschisten am 2.Mai 2014 verübte Massaker an Zivilisten im und um das Gewerkschaftshaus in Odessa. Ich hielt sie für passend zum Thema am Freitagabend und legte sie gleich nach meiner Ankunft im Flur des Tagungsgebäudes neben dem Konferenzsaal aus.
Nachdem ich nach kurzer Abwesenheit zurückkam, war eine der Organisatorinnen gerade dabei, meine Auslage wieder wegzuräumen – mit der Begründung, ich hätte damit den Fluchtweg verlegt. Ein unmittelbar neben meiner Auslage befindlicher Fluchtwegeplan des Hauses widerlegte das. Darum legte ich Fotos und Texte wieder aus. Jetzt wurde ich zunächst mit der Meinung konfrontiert, diese Bilder könne man nicht zeigen. (Einige Bilder zeigten schrecklich zugerichtete Menschen.) Meinen Einwand, alle diese Bilder wären auf einer öffentlichen Veranstaltung im Gewerkschaftshaus in Dresden gezeigt worden, ließ man nicht gelten. Also schlug ich vor, nur die Texte zu zeigen. Das lehnte man mit der Bemerkung ab, die Aussagen seien tendenziös. Als ich zögerte, die Ausstellung zu entfernen, drohte man mir, wenn ich es nicht machte, würde man es machen. Dann machte ich es doch lieber selbst.
Ich muß hinzufügen, daß mir Bild- und Textmaterial von einem bis dahin in Odessa lebenden Augenzeugen zur Verfügung gestellt wurden. Ich habe daran nichts geändert. Hinzugefügt habe ich lediglich eine kurze Danksagung.
Seitdem frage ich mich, wie jemand, der über 1000 km vom Ort des Geschehens entfernt war, dies besser bewerten kann als ein Augenzeuge.
Punkt 2: Rassismusdiskussion
Im Plenarsaal war – entgegen üblichen Gepflogenheiten bei großen Veranstaltungen von NGO‘s – kaum zu erkennen, dass es sich um attac-Veranstaltungen handelte. Dafür waren zwei kleine gleichlautende Transparente am Referenten-/Moderatorenpult angebracht, die sich gegen Rassismus aussprachen. Auch durchzog den ganzen Ratschlag eine (Anti-)Rassismusdiskussion. Dabei ging es nie um die Fragen, wie man auf der Straße oder in der Gesellschaft praktizierten Rassismus in Wirtschaft (z.B. Fleischkonzerne, Landwirtschaft) und Politik (z.B. Grenzregime, Abschiebepraxis, Ausländerrecht) – zurückdrängen/verhindern oder Menschen aus der Szene zurückgewinnen kann. Es ging stets nur darum, dass sich der zu attac gehörende Mensch zurückzuziehen hat, wenn irgendwo Neonazis auftauchen, insbesondere auf Demonstrationen. Dabei betont unser Demonstrationsgesetz „bei Veranstaltungen unter freiem Himmel darf der Veranstalter niemand von der Teilnahme ausschließen“. (Da ich (und mein Stellvertreter) die hör-/sichtbare Teilnahme von Neonazis nicht zulassen wollte, verboten uns Ordnungsamt und Polizeibehörde in Dresden ab September 2004 monatelang die Zulassung als Versammlungsleiter/-stellvertreter. Eine gerichtliche Belangung ließ die Polizei durch die Staatsanwaltschaft prüfen.)
Ich schätze die Arbeit der Antifa sehr. Ich meine, sie leistet eine wertvolle Arbeit, wenn es um die neofaschistische Szene geht. Kritisch wird es, wenn sich einige Mitglieder als die einzig wahren Antifaschisten darstellen und ihre Methoden als die einzig richtigen zur Bekämpfung der neofaschistischen Szene. Echt problematisch wird es, wenn alle, die nicht voll in ihrem Sinne handeln, gleich als „nach rechts offen“ diffamiert werden – wie man auch auf dem Ratschlag beobachten konnte. Dann verlassen sie in meinen Augen selbst den Boden der Demokratie.
Punkt 3: Abstimmungen/Kandidatenwahl
Wenn Wahlergebnisse nur nach Augenschein des Podiums verkündet werden, ist das meines Erachtens alles andere als befriedigend – und nach allgemein gültigem Reglement auch unzulässig. Darauf hatte ich als Diskussionsredner bereits nach der ersten Abstimmung hingewiesen. Wie will man eigentlich bei evtl. Einsprüchen nachweisen, dass das Wahlergebnis so war, wie verkündet?
Es ist völlig in Ordnung und normal, wenn an aufgestellte Kandidaten An- bzw. Rückfragen gestellt werden können. Jedoch darf es nicht in eine Art Verhör ausarten, wie es gegenüber einer Kandidatin der Fall war. Hier hätte die Moderation eher eingreifen müssen.
Punkt 4: Wahl der Schlichtungs-/Schiedskommission
Sinn dieser Wahl war die Schaffung einer von den attac-Leitungsgremien unabhängigen Gruppierung, die in attac-bezogenen Streitfällen zwischen Mitgliedern, Gruppen oder zwischen Mitgliedern/Gruppen und Entscheidungen der attac-Leitungsgremien primär vermittelt oder sekundär entscheidet. Schwerpunkt ist dabei die Unabhängigkeit. Sie ist nicht gewährleistet, wenn – wie geschehen – etliche der Gewählten auch Leitungsgremien angehören. Nach meinem Eindruck schien das vielen der Gewählten aufgrund ihrer Vorstellung und Beantwortung von Anfragen nicht klar zu sein, oder sie ignorieren es.
Punkt 5: Ausschluß eines Cottbuser attac-Mitgliedes
Dieses Mitglied hat eine Satire verfasst, die vom attac-KoKreis missverstanden wurde. Das Mitglied auf die Missverständlichkeit hinweisen - i.O. Dieses Mitglied deshalb auszuschließen, halte ich für absurd. Wenn das in der Gesellschaft Schule macht, würde das das Auslöschen einer ganzen kulturellen Sparte bedeuten.
Punkt 6: attac-Erklärung
Kurz vor Ende des Ratschlags wurde noch schnell eine Erklärung zum Ukrainekrieg verabschiedet, deren Text unmittelbar vorher verteilt wurde. Der Text ist prinzipiell nicht falsch und für eine Einzelperson akzeptabel. Für eine Organisation wie attac halte ich den Text für zu schwach und nicht ausgereift. Wozu gibt es eine AG Globalisierung und Krieg, die nach meiner Überzeugung aufgrund des Vortrages am Freitagabend ein weitaus fundierteres Papier erarbeitet hätte? Es gibt dazu keinen Zeitdruck, der eine Verabschiedung auf der Tagung erfordert hat. Eine spätere Verabschiedung durch die attac-Gruppen wäre besser gewesen.
Punkt 7: Fotoverbot
Als jemand der fast ständig einen Fotoapparat bei sich hat und schon auf vielen Veranstaltungen fotografiert hat, fand ich das stringente Fotografierverbot seltsam. Gab es doch im Saal vermutlich nur eine Handvoll Teilnehmer, die keine elektronische Fußfessel mit Spaßfunktion bei sich hatten, sich also im Abhörbereich sämtlicher Geheimdienste weltweit befanden - soweit sie nicht die Batterie herausgenommen hatten. (Dass man keine Nahaufnahmen von Teilnehmern veröffentlichen darf, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben.)
Punkt 8: Gender
Zumindest im Osten des Landes gibt es noch alte Schulgebäude, die noch getrennte Eingänge für Mädchen und Jungen ausweisen. Ich fand es bisher immer für einen Fortschritt der gesellschaftlichen Entwicklung, daß diese Trennung nicht mehr praktiziert wird. Offenbar gibt es neue Bestrebungen derartiger Trennung, wenn auch an anderer Stelle.
Getrennte Mikrofone und getrennte Diskussionsrunden befremden mich. Unnötige Unruhe im großen Saal war die Folge. Mancher Diskussionsbeitrag fand vielleicht wegen zu langen Weges zum Mikrofon nicht statt. Das durchaus berechtigte Ziel einer abwechselnden Sprechmöglichkeit von weiblichen und männlichen Teilnehmern läßt sich auch moderieren, wenn an jedem Mikrofon gemischt angestanden wird.
Getrennt geplante Diskussionsforen finde ich absurd. Ich finde kleine Diskussionsrunden für unbedingt wichtig. Sie sollten sich aber aufgrund vorgegebener Themen zusammenfinden, nicht auf Genderbasis.
(In der Männergruppe, an der ich teilgenommen habe, gab es durchaus gute und wichtige Diskussionen -
u.a. zu Diskriminierung. Ich hätte mir aber an mancher Stelle auch die Meinung von Frauen gewünscht.)
Fazit
Ich habe schon am Sonnabend in einem meiner Diskussionsbeiträge darauf hingewiesen, daß die aktuelle attac-Politik dazu führen wird, attac als gesellschaftskritische Bewegung ins Bedeutungslose zu führen.
Ich bin DDR-sozialisiert. Wenn in der DDR den Herrschenden eine politisch agierende Gruppierung zu unbequem war, wurde sie verboten. In dieser politischen Ordnung erfolgt die Zerstörung solcher Gruppierungen diffiziler. Es gibt im wesentlichen drei Methoden: Entzug der materiellen/finanziellen Basis, Verleumdung der Gruppe oder wesentlicher Teile/Mitglieder und/oder Zerstörung von innen durch Einschleusung von sog. U-Booten.
Attac ist zweifellos ins Visier herrschender Kräfte geraten. Der Entzug finanzieller Mittel durch Entzug der Gemeinnützigkeit ist eindeutig. Z. Zt. setzt man meines Erachtens zusätzlich auf die zweite Methode.